Das Thema Altern ist virulent, auch in der Literatur. Wie verändern sich einzelne Menschen, eine Partnerschaft, die Beziehungen nach außen, wenn nichts mehr weiterzugehen scheint. Für Schwule stellen sich diese universellen Fragen unter verschärften Bedingungen besonders dann, wenn sie sehr alt sind, und sie nie aus ihrem Versteck herausgekommen sind. Das Vertrauen, Hilfe von außen annehmen zu können, ist nicht sehr ausgeprägt. Ärzte haben sie schon für „krank“ erklärt, als sie noch jung und kraftstrotzend waren. Der 32 Jahre junge amerikanische Autor Matthew Griffin hat seinen Großeltern einen Roman gewidmet, der die Erfahrungen mit deren Altern und seine eigene Situation als Schwuler miteinander verbindet. Es ist ein tragischer, grotesker, trauriger und komischer Roman, dessen Qualitäten sich schnell herumgesprochen haben.

FOTO: RAYMIE WOLFE
Matthew Griffin
WIE KAM ES ZUM ROMAN „IM VERSTECK“?
Ich habe mit „Im Versteck“ ungefähr zu dieser Jahreszeit in 2011 begonnen. Ich war 26 und hatte bereits fünf Jahre an einer anderen Geschichte geschrieben. Es war ein großes, thematisch schwieriges Buch voll mit verschiedenen Erzählern und verrückten Handlungssträngen. Ich war beim fünften Entwurf oder so, und als ich beim letzten Kapitel ankam, erkannte ich, dass ich nicht wusste, was einige der Charaktere nun eigentlich tun würden. An diesem Punkt war mir klar, dass der ganze Roman auseinanderfiel und ich musste mir eingestehen, dass es ein völliger Misserfolg für mich war. Teils, weil ich angefangen hatte, als ich so jung war und es etwas völlig Pubertäres hatte, und teils, weil ich durch das ständige Planen, Umschreiben und Kontrollieren wirklich alles Leben ihn im erstickt hatte. Nach ein paar Tagen der Depression und des Herumwanderns im Haus wie ein Geist, habe ich mir das Manuskript noch einmal vorgenommen, um zu schauen, ob da wenigstens irgendwas Rettenswertes drin ist. Die Momente, die dabei herausstachen, waren nur eine Handvoll sehr ruhiger und intimer Momente. Sie fühlten sich aber lebendig an und formten in meiner Vorstellung relativ schnell eine Vorstellung von „Im Versteck“.
DU BIST 32 – WARUM HAST DU EIN ALTES SCHWULENPAAR ALS THEMA GEWÄHLT?
Die Anfänge aus dem alten Roman handelten von einem älteren heterosexuellen Paar: einer Witwe, deren Ehemann kürzlich verstorben war. In Teilen fußte es auf der Geschichte meiner eigenen Großeltern. Ich war ihnen sehr verbunden und habe beobachtet, wie sie darum gekämpft haben, füreinander da zu sein am Ende ihres Lebens. Ich begann, über diese enorme Tragödie nachzudenken. Wie wir so hart danach streben, diese dauerhaften, liebevollen Partnerschaften zu bewahren und dann, selbst wenn wir es hinbekommen, mit all den Opfern und Kompromissen, die das bedeutet, am Ende die andere Person doch verlieren. Zusätzlich überlegte ich, was das Gleiche wohl für ein schwules Paar in den USA des 20. Jahrhunderts bedeutet hätte. Mit all den zusätzlichen Gefahren und Konflikten. Im weiteren Sinne ist Sterblichkeit ein Thema, von dem ich in Ansätzen besessen war. Diese Geschichte gab mir die Chance, das zu verarbeiten.
BIST DU ÜBER DIE POSITIVEN KRITIKEN ÜBERRASCHT?
Ja! Die Kritiker waren überwältigend freundlich. Bevor das Buch herauskam, dachte ich, dass ich einer dieser coolen Autoren wäre, die Kritiken nicht lesen, weil sie sich nicht dafür interessieren, was andere denken. Aber dann stellte sich heraus, dass ich überhaupt nicht so ein cooler Autor bin. Ich bin in Wirklichkeit sehr ängstlich und will, dass jeder mich mag. Und ich googele die Kritiken ständig. Zum Glück sind sie großartig.
GIBT ES SCHON EINEN PLAN FÜR EINEN WEITEREN ROMAN?
Ich weiß nicht, ob ich einen Plan habe, aber ich arbeite an etwas! Langsam. Eine der Lektionen, die ich zwischen diesem gescheiterten Roman und dem Prozess des Schreibens von „Im Versteck“gelernt habe, ist, dass ich am besten arbeite, wenn ich nicht zu kritisch denke oder Dinge (zumindest auf den ersten Blick) nicht zu sehr durchplane. Ich versuche, jeden Tag zu schreiben und zu sehen, was sich entwickelt. Das kann frustrierend, schwierig und langsam sein, denn ich kann nie garantieren, dass das, was ich zu irgendeiner Zeit schreibe, zu einem größeren Projekt wird. Aber ich glaube, ich fange gerade an, zu einem zweiten Roman zu kommen. Die schönen Kritiken und die Rezeption zu „Im Versteck“ können das auf eine Weise auch schwieriger machen. Es kann härter werden, das Beste zu geben und mutig zu arbeiten, glaube ich, wenn du weißt, dass tatsächlich jemand anderes das lesen wird. Also versuche ich, hart daran zu arbeiten, den gleichen Spirit wiederherzustellen, den ich hatte, als ich „Im Versteck“ geschrieben habe. Nur für mich selbst zu schreiben, was auch immer ich will.
WIE IST DIE AKZEPTANZ FÜR DICH UND DEINEN EHEPARTNER UND QUEERS GANZ ALLGEMEIN IN NEW ORLEANS?
Die Akzeptanz für Homosexuellenrechte ist hier absolut fantastisch. Wir sind zwar erst vor kurzem hierhergezogen, aber ich habe den Eindruck, dass es hier wohl schon eine Weile so ist. New Orleans ist echt wild und lebendig, voll von vielen verschiedenen Menschen und viel echter menschlicher Wärme und Freundlichkeit. Es war schon lange eine Oase für Außenseiter, und es ist ein Ort, an dem man Fremden Hallo sagt, wenn man ihnen auf der Straße begegnet. Elemente der Karnevalskultur scheinen mit der Homosexuellenkultur verbunden zu sein – die Paraden, die wilden Kostüme, die Pailletten. Ich fühle mich hier wohler und akzeptierter als so ziemlich überall im Land – die wichtigsten nördlichen Städte inbegriffen. (Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass 81 Prozent der Menschen in der Gemeinde Orleans für Hillary Clinton gestimmt haben!) Die Situation ist allerdings im Rest der USA und auch hier im Süden nicht ganz so hervorragend. Außerhalb von New Orleans würde ich vorsichtiger damit sein, in der Öffentlichkeit die Hand meines Mannes zu halten oder zärtlich zu sein. Allerdings gibt es auch in ländlichen Gebieten viel mehr Unterstützung für Homosexuellenrechte, als wir oft erwarten. Mein Mann und ich haben am Tag der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (zur Eheöffnung – Anm. d. Red.) auf einem Bauernhof im ländlichen Tennessee geheiratet. Der Inhaber, ein älterer Bauer, war glücklich, uns dort zu haben.
„Mit dem Beginn der Trump-Präsidentschaft und der albtraumhaften politischen Situation hier, glaube ich, werden wir in den nächsten vier Jahren eine Menge Schlachten kämpfen – wir wissen nur noch nicht welche.“
ALSO MÜSSEN SICH DU UND DEIN MANN IM KRANKENHAUS NICHT ALS BRÜDER AUSGEBEN? (DIE PROTAGONISTEN IM BUCH TUN DIES.)
Ha! Zum Glück nicht. Wir haben allerdings auch den Vorteil, Anwälte in der Familie zu haben. So hatten wir zum Beispiel Vorsorgevollmachen füreinander, bevor es die Möglichkeit gab zu heiraten. Das konnte aber nicht jeder ohne Weiteres, was einer der Gründe war, warum die Öffnung der Ehe so wichtig war.
SEIT IHR IMMER NOCH TEIL DER „WE DO“-KAMPAGNE?
Wir sind immer noch an der Kampagne für die Southern Equality beteiligt, die die „WE DO“-Kampagne durchgeführt hat, allerdings nicht mehr so intensiv. Im Moment fühlt es sich ein wenig so an, als warteten wir darauf, was als Nächstes getan werden muss. Mit dem Beginn der Trump-Präsidentschaft und der albtraumhaften politischen Situation hier, glaube ich, werden wir in den nächsten vier Jahren eine Menge Schlachten kämpfen – wir wissen nur noch nicht welche.
WIRD DIE LESEREISE DEIN ERSTER DEUTSCHLANDBESUCH? WAS ERWARTEST DU, UND GIBT ES SPEZIELLE ORTE, DIE DU BESUCHEN WILLST?
Es ist mein erster Besuch in Deutschland! Ich bin sehr aufgeregt, und ehrlich gesagt weiß ich gar nicht so genau, was mich erwartet. Es wird ein bisschen eine Wirbelwindreise, denke ich – ich bin jeden Tag in einer anderen Stadt. Aber ich bin begeistert davon, den Zug von Stadt zu Stadt zu nehmen und so die Landschaft sehen zu können. Ich liebe alte Architektur, Kirchen und Kathedralen und möchte unbedingt den Michel sehen, wenn ich in Hamburg bin. Und ich möchte auf jeden Fall das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin besuchen. Außerdem liebe ich Bier und freue mich darauf, einige der Besten der Welt zu trinken!
•Interview: Christian
DIE TERMINE DER LESEREISE MIT MATTHEW GRIFFIN
7. 2., Schwules Kommunikations- und Kulturzentrum München e.V., Müllerstraße 14, 80469 München, 19.30 Uhr
6. 2., Löwenherz, Berggasse 8, Wien, Österreich, 19:30 Uhr
8.2., Buchsalon Ehrenfeld, Wahlenstraße. 1, Köln, 20 Uhr
9.2., Matthew Griffin liest aus „Im Versteck“, Buchladen im Schanzenviertel, Schulterblatt 55, Hamburg, 20 Uhr
10.2., Eisenherz, Motzstr. 23, 10777 Berlin