KOMMENTAR • CIS IN

Gegen des geplante „Kiss in“ von Maneo hat sich die Vereinigung GLADT (Gays & Lesbians aus der Türkei) gewandt. Das „Kiss in“ sei eine „weiße, cis-männlich-dominierte“ Aktionsform und „gefährde die „Beziehungsarbeit zu unseren Nachbar*Innen“. Cis muss man wissen, ist das Gegenteil von trans.

An den Erfindern der Aktionsform lässt sich nicht rütteln. Mittlerweile wird diese aber weltweit als Demonstrationsform benutzt. Bei der „Kiss of Love“ Aktion in Indien wehren sich indische Frauen damit gegen eine sie unterdrückende Sexualmoral. in Südafrika wurde sie von schwarzen Schwulen eingesetzt, um gegen die homosexuellenfeindliche Gesetzgebung von Präsident Zuma zu protestieren. Und in Ankara fühlten sich Islamisten durch einen solchen Protest zur Gewalt genötigt.

Der Streit entzündet sich also nur an einem Symbol. Tatsächlich geht es um einen Kampf der Axiome. Maneo versteht es als seine oberste Aufgabe, gleichgeschlechtliche Diskriminierung abzubauen. GLADT sieht es als Ziel an, Rassismus zu bekämpfen. Eine homosexuelle Gruppe fühlt sich also durch eine andere in ihren Axiomen verraten.

Verfolgt man die Verlautbarungen von GLADT fühlt man sich immer ein bisschen an die Bekennerschreiber der RAF erinnert: sie klingen in sich logisch, sind aber völlig weltfremd, denn die dahinter liegende Annahme ist falsch. Menschen sind nicht gleich und ihre ganze Existenz beruht darauf, sich als Individuum auszudifferenzieren. Das ist das Gegenteil von Gleichheit. Wenn es keine Gleichheit gibt, wird es auch mit der Gerechtigkeit schwer. Der Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus, Kapitalismus und all die anderen Hässlichkeiten ist nicht viel mehr als eine Wahnvorstellung. „Rassismus von unten bedroht das Leben von Millionen“ heißt es in dem Auflösungsschreiben der RAF von 1998. Von unten, von oben und jetzt auch noch von der Seite. Friendly fire sozusagen.

Übrigens ist die erste bekannte Verwandlung durch einen Kuss nicht von einem Mann überliefert. Im Froschkönig küsst die Prinzessin die Amphibie - und das ist schon ziemlich transsexuell. •Olaf Alp