Sonntag geht es los. Die Stimmungswahl nur eine Woche vor dem großen Showdown in Berlin ist die bayerische Landtagswahl. Bernd Müller sprach mit Münchens Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Christian Ude.
MITTAGS IN MÜNCHEN, ABENDS IN NIEDER-BAYERN, MORGEN IN UNTERFRANKEN EIN PRALL GEFÜLLTER TERMINKALENDER. WIE IST IHRE STIMMUNG WÄHREND DER WAHLKAMPFTOUR DURCH DEN FREISTAAT?
Sehr gut, denn ich kann mich auf eine einzige Aufgabe, nämlich den Landtagswahlkampf, konzentrieren und muss mich nicht zwischen den Pflichten als Oberbürgermeister, Landtagswahlkämpfer und Präsident des Städtetags zerreißen. Dieser Wahlkampf ist zwar kein Erholungsurlaub, hat aber erholsame Züge das liegt vor allem an den durch die Bank erfreulichen Begegnungen mit der Bevölkerung.
AKTUELLE UMFRAGEN BESTÄTIGEN DER BAYERN-SPD ZUR ZEIT HISTORISCH SCHLECHTE WERTE. NUR EIN VORÜBERGEHENDES WÄRMEGEWITTER ODER DOCH EIN LANG ANHALTENDES TIEF?
Ich kann mich über die Umfragegläubigkeit nur wundern. Umfragen sind Stimmungsbilder, in denen viele zufällige Faktoren eine Rolle spielen. Ich gebe darauf nichts. Wenn sich Horst Seehofer seit einem Jahr als Gewinner der absoluten Mehrheit feiern lässt, ist mir das recht. Es kann sich in der CSU gar nicht genug herumsprechen, dass die Wahl bereits gelaufen sei und man nicht hingehen muss. Für uns Sozialdemokraten gilt: Das Rennen ist offen!
DIE ANFÄNGLICHE UDE-EUPHORIE NACH IHRER NOMINIERUNG SCHEINT DENNOCH VERPUFFT. WIE KONNTE DAS PASSIEREN?
Es wäre naiv zu glauben, die reine Bekanntgabe einer Kandidatur würde die Machtverhältnisse in Bayern ändern. Entscheidend ist, wie man den Endspurt meistert. Wir haben in der SPD enorme Fortschritte erzielt, die Partei präsentiert sich geschlossen wie seit Jahrzehnten nicht. Hinzu kommt: Unser Programm ist realistisch, denn wir gehen diesmal von der ernsthaften Übernahme von Regierungsverantwortung aus. Bei Wahlveranstaltungen haben wir bis in die kleinsten Kommunen rappelvolle Bierzelte. Auch das ist ein gutes Signal, denn es drückt die Überzeugung aus, dass es in Bayern künftig mehr Vielfalt und mehr Gerechtigkeit geben muss.
DIE WÄHLER SCHEINEN ZUFRIEDEN MIT DER LEBENSSITUATION IN BAYERN, DIE CSU HAT SICH ZWISCHENZEITLICH SOGAR EINIGE ROTE THEMEN ZU EIGEN GEMACHT. WOMIT WOLLEN SIE DEN GEGNER THEMATISCH NOCH STELLEN?
Viele Menschen sind zufrieden mit ihrer Lebenssituation, das bin ich selbst übrigens auch. Die meisten Menschen sind aber unzufrieden damit, wie mit Regierungsverantwortung umgegangen wird. Ihnen ist zum Beispiel peinlich, wie der Finanzminister vom eigenen Regierungschef der Schmutzeleien bezichtigt wird oder wie die Justizministerin mit der Mollath-Affäre umgegangen ist. Die Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen würde sich bei einem Regierungswechsel sogar noch verbessern. Dann gäbe es mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Bildungschancen, eine bessere Infrastruktur und weitere Fortschritte in Richtung einer modernen, vielfältigen Gesellschaft.
SIE SETZEN HOFFNUNGEN AUF RUND 40% NOCH UNENTSCHIEDENER WÄHLER. WO SOLL DER STIMMUNGSUMSCHWUNG KURZ VOR DER WAHL HERKOMMEN?
Kurz vor der Wahl zaubern wir sicher keine Themen mehr aus dem Hut, die sind ja seit langem gesetzt. Unsere Botschaft lautet: Wir werden das Land ins Gleichgewicht bringen. Die CSU hat mit ihrem Zentralismus ganze Landesteile vernachlässigt und von der Entwicklung abgehängt. Das ist kein Ruhmesblatt für eine Partei, die 56 Jahre regieren durfte.
WORAN MACHEN SIE DEN WECHSEL INHALTLICH FEST?
Es gibt viele Bereiche, in denen wir Bayern flott machen wollen. Grundsätzlich wollen wir mehr Gerechtigkeit, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Hier kann Bayern zwar gute Zahlen vorweisen, erlebt aber auch Skandale wie Lohndumping oder Flucht in Werksverträge, was in einem so vermögenden Land besonders ärgerlich ist. Auch im Bildungswesen wollen wir grundlegende Verbesserungen erreichen.
IN MÜNCHEN HABEN SIE SICH EINEN HERVORRAGENDEN RUF IN DER LGBT-COMMUNITY ERARBEITET. WELCHER QUELLE ENTSPRINGT DIESES ENGAGEMENT?
Mit dem Thema habe ich mich schon in meiner Zeit als Schülerredakteur befasst. Aber ich setze mich für viele Gruppen ein, zum Beispiel auch für Migranten oder für die jüdische Gemeinschaft. Mein Engagement gilt Minderheiten, die unabdingbar zur Gesellschaft dazugehören, aber Gefahr laufen ausgegrenzt zu werden.
WAS WILL DIE SPD FÜR LESBEN, SCHWULE UND TRANSGENDER IN BAYERN ERREICHEN?
Wir müssen heute glücklicherweise keine Jagdszenen in Niederbayern mehr erleben. Es gibt dort sogar einen schwulen SPD-Landrat. Dennoch ist der Nachholbedarf groß. München dient hier als gutes Vorbild für die Infrastruktur. Da geht es zum Beispiel um Koordinierungsstellen oder Akzeptanzkampagnen, das muss künftig landesweit geboten werden zumindest aber in jedem Regierungsbezirk.
WAS MÜNCHEN 20 JAHRE LANG VORGEMACHT HAT, SOLL JETZT IN GANZ BAYERN VERANKERT WERDEN. IST DAS NICHT ETWAS KÜHN?
Keineswegs. In Zeiten des Aids-Maßnahmenkatalogs konnte man sich auch nicht vorstellen, dass es in München einmal so liberal zugehen würde, wie heute. Ich glaube, dass die Bereitschaft für den entsprechenden Wandel vorhanden ist, auch im ländlichen Raum. Die Zeit ist reif, nicht mehr nur für Toleranz, sondern für Akzeptanz. Aber ich warne die queere Szene zugleich davor, die Fortschritte für gesichert zu halten es gibt immer wieder Kräfte, die das Rad zurück drehen wollen.
IHR 20. AUFTRITT BEIM CSD 2013 WAR EIN BEMERKENSWERTES JUBILÄUM, ZUGLEICH IHR ABSCHIED VON DIESER BÜHNE
aber nur in meiner Eigenschaft als Oberbürgermeister! Ich könnte mir gut vorstellen, im nächsten Jahr der erste Ministerpräsident zu sein, der einen CSD anführt.
SOLLTEN SIE NICHT MINISTERPRÄSIDENT WERDEN: WIE GEHT IHR LEBEN NACH DER WAHL WEITER?
Ein politischer Mensch bleibt man unabhängig von Ämtern. Ich würde mich also sicherlich weiter politisch betätigen, ob in einem öffentlichen Amt, publizistisch oder mit zivilem Engagement.
Interview: Bernd Müller