Alex Kapranos (41) hat seine Schlüsselkarte verschludert, der Sänger von Franz Ferdinand kommt nicht mehr hinein in sein Berliner Hotelzimmer. Auch ist niemand in Sicht, der ihm helfen könnte. Was also tun? Komm, wir setzen uns auf die Feuertreppe und unterhalten uns dort. Es gibt ja auch reichlich zu bereden und entsprechend wenig Zeit zu verlieren. Nachdem die vier Schotten Mitte des vorigen Jahrzehnts die Rockwelt mit einmaligen und sehr tanzbaren Songs wie Take Me Out in Aufruhr und Entzücken versetzen, verschwand die Band zuletzt ziemlich von der Bildfläche. Man genoss das Privatleben der in Bayern aufgewachsene Gitarrist Nick McCarthy etwa bekam mit seiner österreichischen Frau Manuela Gernedel vor zwei Jahren Sohn Vito und ruhte sich aus. Mit der Stille ist nun Schluss. Right Thoughts, Right Words, Right Action heißt das vierte Album von Franz Ferdinand. Es überrascht nicht nur mit Gästen wie Alexis Taylor von Hot Chip oder Björn (Peter, Björn & John) Yttling, sondern auch mit ausgefeiltem, spielfreudigem, funky Tanzrock.
ALEX, DU HAST EUER LETZTES ALBUM "TONIGHT" MIT DEM "SEXLEBEN EINES ERWACHSENEN" VERGLICHEN. DESSEN VORGÄNGER "YOU COULD HAVE IT SO MUCH BETTER" CHARAKTERISIERTEST DU MIT DEM "SEXUALVERHALTEN EINES TEENAGERS". WER BITTE VERGNÜGT SICH DENN NUN AUF "RIGHT THOUGHTS, RIGHT WORDS, RIGHT ACTION"?
Ach du lieber Gott, habe ich das wirklich so gesagt? Nun gut. (überlegt) Die neue Platte ist nicht wirklich stark von Sex inspiriert. Sie ist eher besessen von der menschlichen Seele. Einige der Texte gehen gedanklich etwas tiefer, als man das bislang von uns kannte.
HAT DAS WAS MIT DEM ÄLTERWERDEN ZU TUN?
Ganz bestimmt nicht. Ich habe das Gefühl, ich kehre zu der Naivität zurück, die ich besaß, als ich jünger war. Man denkt mit 16 ja viel mehr über die großen Zusammenhänge des Lebens nach als mit 36.
DAS HEISST, DU FÜHLST DICH MIT 41 WIEDER WIE MIT 16?
Es ist komisch, oder? Ich weiß nicht genau. Ich denke, man muss kein spezielles Alter haben, um spezielle Gefühle zu entwickeln. Ich denke auch nicht über das Alter nach. Ich bin 41 Jahre alt und tue Dinge, von denen ich nicht weiß, ob ich sie tue, WEIL ich 41 bin oder OBWOHL ich 41 bin. Ich bin so weit zufrieden damit, wer ich bin, und muss mich nicht andauernd hinterfragen.
HABEN DICH ZEHN JAHRE ALS SÄNGER VON FRANZ FERDINAND SELBSTBEWUSSTER GEMACHT?
Auf manchen Gebieten bin ich wirklich selbstsicherer geworden. Eigentlich in allem, was mit meiner Arbeit zu tun. Auf der Bühne fühle ich mich sehr wohl, und als Songwriter weiß ich, was ich kann. Aber es gibt auch immer noch Situationen, in denen ich mich unwohl fühle.
WELCHE SIND DAS?
Bei jeglicher Art von sportlicher Aktivität wird mir unbehaglich. Und bei bestimmten sozialen Zusammenkünften würde ich mich am liebsten verstecken.
DABEI BIST DU IM KONZERT DOCH IMMER SO EXTROVERTIERT UND SPIELST MIT DEM PUBLIKUM.
Ja, ich bin im Konzert ein großer Flirter, ein Verführer und ein Witzbold. Viele Leute, die mich nicht so gut kennen, erwarten ein vergleichbares Verhalten von mir auch abseits der Bühne und erleben ihr blaues Wunder. (lacht) Ich bin nicht wild, ich bin eher schüchtern. Es gibt ja Leute, die betreten einen Raum, und der Raum gehört ihnen. Bei mir ist es überhaupt nicht so. Mir gefällt es nicht, wenn alle mich anstarren, und daraus folgt, dass viele überrascht sind, wie scheu ich bin.
EIN ZURÜCKHALTENDER MENSCH WIE DU SPRICHT BESTIMMT AUCH NICHT GERNE ÜBER SEINE TEXTE, ODER?
Ach doch, es geht. Muss ja. Ich bin ja auch nicht weltfremd oder verschroben, höchstens ein bisschen gehemmt. Ich mag Lyriker wie die Sparks sehr gern. Deren Songs erinnern an Romane oder Drehbücher: Sie erzählen nicht in der ersten Person, sind aber trotzdem extrem gut und nah dran am Leben. Ich finde es tatsächlich sauschwer, über meine persönlichen Emotionen und Befindlichkeiten zu schreiben, weil man die immer irgendwie beschützen möchte. Als Texter finde ich besonders viel Freude daran, Charaktere zu erfinden, um denen dann meine eigenen Gefühle einzupflanzen.
EURE NEUE SINGLE "LOVE ILLUMINATION" ETWA IST NICHT NUR MUSIKALISCH SEHR DIREKT, ANGENEHM KNARZIG UND EINGÄNGIG, SONDERN SIE SCHEINT AUCH RECHT ROMANTISCH ZU SEIN. WORUM GEHT ES?
Um eine sehr süße, farbenfrohe Liebe. Und um die Melancholie, wenn die Farben verblassen. Es geht um das Gefühl, mehr im Leben zu wollen als tägliche Routine und eventuell Langeweile. Und es geht um die Einsamkeit als Folge davon, diesem Gefühl nachzugeben.
TRAURIG.
Bittersüß. The Universe Expanded ist für mich noch herzerweichender. Die Idee zu dem Song habe ich zusammen mit Bob (Bassist Bob Hardy, Anm. d. Aut.) entwickelt. Zugrunde liegt die wissenschaftliche Theorie rund um den Big Bang, die besagt, dass das Universum einst explodierte und sich immer weiter ausdehnt. Und zwar so lange, bis es irgendwann nicht mehr kann und wieder schrumpft. Dann, so unsere Überlegung, läuft auch die Zeit rückwärts. Wir schicken den Protagonisten des Songs also zurück, um eine schrecklich schiefgelaufene Liebesgeschichte noch einmal von hinten nach vorne zu durchleben.
GEHT ES AUCH IN "BRIEF ENCOUNTERS" UM VERGÄNGLICHE LIEBSCHAFTEN?
? Ich fürchte, jetzt nähern wir uns doch wieder dem Sexthema. Menschen kommen, Menschen gehen, so ist das Leben. Hier war die Ausgangsidee eine Schlüsselparty.
SEIT EUREM "TONIGHT"-ALBUM SIND VIER JAHRE VERGANGEN. HAST DU IN DER ZEIT VIELLEICHT HERAUSGEFUNDEN, WIE DU ZU DEN GROSSEN THEMEN DES LEBENS STEHST?
Nein, dafür brauche ich weit mehr als vier Jahre. (lacht) Ich habe mich in der Phase ein bisschen in mich selbst zurückgezogen. Wir alle haben das. Nick zum Beispiel ist Vater geworden vor zwei Jahren, und ich habe mich einfach mal ein wenig entspannt.
ALS VOR ACHT JAHREN EUER ERSTES ALBUM RAUSKAM, WURDE DIE MUSIKWELT VON INDIEROCK DOMINIERT. ZULETZT SPIELTE ELEKTRONISCHE MUSIK DIE HAUPTROLLE. WAS ERWARTET IHR JETZT EIGENTLICH?
Ich habe überhaupt keine Ahnung. Wir werden ja sogar schon gefragt, ob das jetzt ein Comeback ist, aber das halte ich für wirklich absurd. Ich denke, ich erwarte einfach mal gar nichts. So wie vor zehn Jahren, als wir mit Franz Ferdinand anfingen. Man wusste überhaupt nicht, was passieren würde. Das ist eigentlich ein schönes Gefühl: Ungewissheit. Es bewahrt dich zudem vor Enttäuschungen.
Interview: Steffen Rüth