Jongens ist der schönste Film über vielleicht schwule Jungs seit Sommersturm. Es gibt kaum etwas, das besser gegen den kalten, dunklen Januar hilft, als sich Mischa Kamps kleine Geschichte über Sieger anzugucken. Das kann man im Rahmen der Gay-Filmnacht in 23 deutschen Städten.
Fünfzehn ist ein schwieriges Alter. Man ist noch nicht halb man selbst und weiß nichts über sich oder die Welt, aber alle wollen plötzlich wissen, wos denn mal hingehen soll, wenn man erst mal groß ist, ganz bald. Dabei fängt die Entdeckungsreise, auf der man herausfindet, wer man ist, doch gerade erst an. Für schwule Jungs fällt das alles noch zusätzlich mit der Frage zusammen, wen man liebt und was das heißt. Diese Frage sich und anderen zu beantworten, ist für sie nicht unbedingt der erste Schritt zur Mann-, aber ganz sicher zur Menschwerdung.
In Jongens stellt Regisseur Mischa Kamp diese Frage seinem Hauptprotagonisten mit dem für deutsche Ohren lustig klingenden Namen Sieger (Gijs Blom). Das ist schon deswegen so, weil Sieger im Leben noch so gar nichts gewonnen hat. Seit seine Mutter vor einigen Jahren gestorben ist, versucht er, den Frieden zwischen seinem Vater und seinem rebellischen Bruder aufrechtzuerhalten und gleichzeitig ein guter Läufer zu werden. Er ist, als der Film beginnt, mit den Vorbereitungen auf einen wichtigen Staffellauf beschäftigt und trainiert fleißig auf einem Sportplatz irgendwo in der malerischsten Ecke von Holland. Dort begegnet er auch immer wieder Marc (Ko Zandvliet), mag ihn, geht mit ihm schwimmen, fährt mit ihm Fahrrad, küsst ihn einmal, zärtlich und gierig, nur um ihm danach davonzufahren. Und das nicht, ohne ihm zu sagen, er sei nun mal kein Homo.
Marc und sicher auch ein Großteil des Publikums sieht das anders. Deswegen ist er auch geschockt, als er Sieger mit Jessica auf dem Rummel trifft. Als Teil eines Viererdates, an dem noch ein anderes junges, heterosexuelles Paar beteiligt ist. Jessica küsst Sieger, Sieger findet das gut, Marc findet es merkwürdig, denn Sieger sucht auch immer wieder seine Nähe, hält Händchen, sie küssen sich noch mal, alles ist im Fluss und immer in Bewegung.
Was, neben seinen wunderschönen Bildern und großartigen Darstellern, die wirkliche Stärke von Jongens ist: Der Film hat eine Leichtigkeit im Umgang mit seiner Thematik, die ihn über den offensichtlichen Fragen schweben und so zu außergewöhnlichen Antworten auf sie kommen lässt. Er lässt sich nicht dazu herab, die Gefühle seiner Protagonisten in so etwas Bequemes wie Identitätsschubladen zu packen. Was nur folgerichtig ist. Fünfzehnjährige glauben erstens immer, noch niemand vor ihnen hätte diese Gefühle gehabt, und wissen ja zweitens auch nicht sofort, was genau sie bedeuten. Diesen flirrenden, aufregenden Raum der Ungewissheiten, in dem man oft nicht weiß, ob man jetzt Schmetterlinge im Bauch hat oder einem gerade Läuse über die Leber laufen, greift sich Jongens und macht ihn zu seinem wunderschönen Zuhause. Dabei erinnert er in seiner emotionalen Intensität genauso an Sommersturm wie an den großen Filmhit des letzten Jahres Freier Fall. Mit dem hat er auch gemeinsam, wie er die Körper seiner Hauptfiguren einsetzt: als Projektionsflächen. Der Drang nach vorn, ins Ungewisse, den die Figuren in Jongens verspüren, wird in Lauf- und Fahrtsequenzen gespiegelt, und selbst in der ruhigsten Minute hat der Film eine Bildsprache, die einen hingucken lässt und fesselt. Mit Sieger und Marc stehen sich aber nicht nur zwei Jungentypen, sondern auch zwei Familien gegenüber: Siegers Vater und Bruder sind gefangen in ihrer Schlacht darüber, was ein Mann sein und werden soll, während Marc und seine kleine Schwester, zusammen mit seinen Eltern, Sieger ein Bild davon vermitteln, was möglich ist, wenn man sich bedingungslos liebt. Jongens ist ein Sommertagstraum von einem Film: leicht, aber schlau, zärtlich, aber zupackend. Wunderbar. Paul Schulz
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